Callcenter Agent
Lust und Frust
callcenteragent | 19. Juli 07
Menschen sind ja so putzig! Langsam entwickle ich richtigen Spaß an dieser Arbeit – einige Telefonate sind dermaßen lustig, die Menschen sind so gut drauf, dass es einem eine wirkliche Freude ist, mit ihnen zu telefonieren. Da werden Witze gerissen, Späße gemacht, es wird gefoppt, gelogen und auf den Leim geführt – und das von beiden Seiten. Das Köpfchen kommt ganz schön ins qualmen, man will ja nicht – als Profi - „an die Wand gelabert werden“. Die wenigen „ich-bin-aus-Prinzip-negativ“ fallen wirklich kaum mehr ins Gewicht, wenn man immer wieder Mühe hat, die Kurve zu „Herr Müller, ich muss jetzt aber wirklich weitermachen hier...“ zu kriegen.
Mit solchen Negativlingen umgebe ich mich im Privatleben schon ungern, in diesem Job bin ich natürlich umso froher, wenn ich wenige bis gar keine am Rohr habe - oder sie sich wenigstens gleich als solche Art Mensch zu erkennen geben.
Das einzige, was mich derzeit bremst und aufhält sind tatsächlich diese unsagbar dämlichen Motivationsversuche. Leicht kontraproduktiv – denn mit einigen dieser Quasselstrippen vereinbare ich schließlich auch Termine!

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anrufbeantworter, Donnerstag, 19. Juli 2007, 11:59
Hört sich so an, als würdest du dich gut in den Job einleben und viel Spaß daran haben.

Ich wünsche dir auf jeden Fall, dass du den Spaß beibehältst und auch weiter viel Erfolg haben wirst.

 
sagen wir so: der job kommt meinem naturell entgegen.

er fördert und fordert - weit mehr als vieles, was ich schon gemacht habe, denn es ist hart, das outbound-geschäft. verdammt hart. alt werde ich daher bestimmt nicht in diesem job, aber solange es mir körperlich und seelisch gut geht damit, werde ich weitermachen.

ich hab zwar schon wesentlich mehr verdient - aber noch nie so viel für so wenig (zeit)aufwand. das ist ja schliesslich eines der hauptargumente für einen job ;-)

 
die stimme kratzt schon ein wenig diese woche... hat jemand einen tipp? evtl. sänger/in hier? ich kann mir heiserkeit derzeit überhaupt nicht leisten!

obwohl es mir den anschein machte, dass die kunden eher positiv darauf reagierten, wenn mir mal die stimme wegblieb - wünschten sogar schon alles gute für die stimme ;-)

 
Versuch mal nicht aus dem Hals zu reden sondern mit dem Bauch [grinz.] Im Klartext: wenn du normal redes, nutzt du deinen Mund- und Rachenraum als Resonanzkoerper.
Saenger und professionelle Sprecher reden allerdings so, dass das Zwergfell diese Rolle uebernimmt. Einfach die Hand auf den Bauch legen und summen, bis der Bauch vibriert. Deine Stimme wird ein bisschen tiefer klingen, aber es geht nicht so auf die Stimmbaender. Außerdem sprichst du etwas lauter. Aber tiefe rauchige Stimmen sollen ja am Telefon Wunder wirken ;o)

Lernt BTW jeder Lehrer. Muss man bei den Kiddies auch.

Grueße
chéggy (therabbitshole.de)

PS: Ich wollte noch anmerken, dass ich deinen Job auch nicht so sonderlich toll finde, vorallem, weil er sehr effektiv ist, was das Werbe-Potential angeht. Und das stoesst einem als "Opfer" natuerlich auf. Aber Moralkategorien? Ah geh!

 
danke für den tip, werds probieren!

effektiv ist telefonspam wirklich - sonst würds ja keiner machen! bei der summe von terminen, die unser gesamtes team am tag herausholt, glaubt man echt nicht mehr wirklich an das vorhandensein eines minumum an intelligenz...
es stimmt mich richtig positiv, wenn ich mal "am telefon mache ich prinzipiell nichts" höre. obwohl ich auch schon mit so jemanden einen termin gemacht habe.

 
zur Effektivität: Das fiese ist, daß Ihr ja Struktogramme habt, die da sagen "Auf Antwort XY fahre fort mit ...". D.h. die billigen Standardantworten sind schonmal weg. Manche geben sich da sicherlich geschlagen und stimmen einen Termin zu.
Ich sehs wiederum als Training an. Wenn Du zum Chef / Kunden kommst, hat der sich ja auch schon auf Dich vorbereitet und Dich triffts wie aus blauem Himmel - nur, daß Du beim Callcenteranruf nicht ganz so in die Tonne greifst, wenn Du nicht mehr weiter weisst. Ein "Sorry, ich fühl mich grad nicht gut. Könnten Sie später nochmal anrufen - vielleicht ist mir ja bis dahin eingefallen wie ich an dieser Stelle am günstigsten weiter mache" ist doch auch ein fieser, aber halbwegs geretteter Abgang ;->

Dito auf Deiner Seite. Schlagfertigkeit optimierst Du bei dem Job auf jeden Fall, also mach weiter, solange es Dir Spaß macht. (und bloggen ned vergessen - ein Blick hinter die Kulissen wird immer gern riskiert)

-Segler-

 
struktogramme zwar nicht, aber wir sind schon ganz gut vorbereitet - einwandsbehandlung nennt sich das ;-) und tatsächlich, ich konnte schon einige "kritische" zu einem termin bewegen. "umdrehen" nennt man das hier. jemanden so richtig festzunageln bringt hier aber auch nichts, denn er soll ja meinen kollegen freudig zum termin erwarten - das tut er nicht, wenn ich ihn darauf festgenagelt habe. also lasse ich das.

ich würde nach solch einem "ich fühl mich grad nicht gut" abgang auf jeden fall anderntags nachhaken, obs jetzt besser ist , was denn los war - emotionale ebene und so ;-)

ich werde natürlich weiterhin bloggen, obwohl mir momentan scheinbar die themen rar werden - ob ich schon so langsam betriebsblind werde? mal sehen, ich hab auf jeden fall immer noch so 1-3 themen in petto. kommt ja eigentlich auch täglich neues dazu.

 
Zu Deiner Stimme:

Es ist normal in dem Job, dass man nach relativ kurzer Zeit erst mal ein paar Probleme damit bekommt. Ging mir auch so. Also her mit den Tipps:

1. Hab immer ein Glas Wasser auf dem Schreibisch stehen und trinke nach jedem Telefonat einen Schluck. Wasser ist am besten geeigent. Es geht aber auch Tee, Kaffee zählt nicht. Fruchtsäfte sind meist zu sauer - also bitte auch lassen.

2. Räuspere Dich nicht! Das belastet die Stimmbänder noch viel mehr. Huste lieber mal.

3. Ja stimmt. Aus dem Bauch sprechen ist viel besser. Zuerst weiß man nicht so genau, was damit gemeint ist. Aber probiere ruhig mal ein bisschen rum. Du wirst es merken.

4. Achte auf Deine Atmung. Im schön in Ruhe in den Buch atmen.

5. Sprich ruhig und eher langsam. (Was Du sowieso vermeiden solltest, um bei Meldeformel und den ersten Erklärungen wie ein Tonband zu klingen - das kommt spätestens bei Vieltelefonierern, die Du immerwieder dabei haben wirst ganz und gar nicht gut an.)

6. Wie kommst Du zur Arbeit? Falls mit dem Auto: Singe! Singen ist die entspannteste Methode Laute von sich zu geben und seine Stimme aufzuwärmen. Singe erst leise und in leicht ereichbaren Tonlagen. Solltest Du eine längere Strecke fahren, kannst Du dann lauter werden.
Wenn Du mit ÖPNV unterwegs bist, summe vielleicht wenigstens leise vor Dich hin.
Vielleicht ist das jetzt ein Tipp, den Du eher ungern umsetzt. Aber glaub mir, DAS hilft wirklich, Stimmproblemen vorzubeugen. Ausserdem hebt es die Stimmung ("Stimmung" hat mit Stimme auch viel zu tun... und umgekehrt) und mit guter Laune telefoniert mal viel besser und auch Dein Gegenüber hat mehr Spaß daran.

Wenn Du den Job länger machst, wird sich Deine Stimme und Sprache auf Dauer verändern... Hihi.. das fand ich damals sehr witzig.

Viel Erfolg!

 
einiges beherzige ich jetzt schon, z.B. eistee trinken. braucht man ja auch, der mund wird wirklich extrem trocken nach einiger zeit. aus dem bauch heraus probiere ich, muss aber wohl noch etwas üben. nicht räuspern und bauchatmung werde ich probieren. und meine sprechgeschwindigkeit passe ich sowieso immer dynamisch an, je nachdem, wer am anderen ende ist.
ich kombiniere öpnv und gehen, singen geht da also ganz gut - wirklich ne prima sache, um die stimmung zu heben.
termine macht man _nicht_ ohne die entsprechende laune. wirklich nicht!

super, danke für die tipps - endlich mal wieder konstruktives hier in den kommentaren!

 
Habe auch noch was zur Stimme.

Möglichst beim Ausatmen sprechen.
Also möglichst keine kalte Luft einatmen.

Zum Trinken: am Besten ist wirklich Wasser. Am Besten zwischen Raumtemperatur und Körpertemperatur; also lauwarm. Ich fülle mir immer eine 3/4 Liter-Flasche bei 40 Grad ein, dann habe ich davon etwas länger etwas. Es lohnt sich selbst für Wasser, eine Thermoskanne zu nehmen; mache ich immer in der kalten Jahreszeit.

Trinken in kleinen Schlucken, und dabei den hinteren Rachenraum benetzen, leicht gurgelnd. Das hilft, das bakterielle Gleichgewicht im Hals konstant zu halten.

Auf keinen Fall Wasser mit Kohlensäure nehmen.
Damit macht eher alles schlimmer.

Anfangs habe ich Pfefferminztee und Kamillentee gemischt. Natürlich ohne Zucker! Mit der Zeit gewöhnt man sich aber an ganz normales Leitungswasser. Wenn ich es bei 40 Grad aus der Leitung ziehe (mein Durchlauferhitzer ist so eingestellt) dann schmeckt es etwas besser. Die Faustregel für's Abkochen ist zwar 65 Grad, aber ich habe festgestellt, dass es auch so okay ist. Wenn man einen elektrischen Schnellkocher hat, muss man anfangs ein wenig probieren, wie lange der an sein darf. Aber es geht, mit ein bisschen Übung.

Singen zum "einstimmen" (Stimmbänder trainieren) kann man machen. Aber dann besser dabei nur ausatmen. Noch besser ist Summen! Bei geschlossenem Mund. Sowas gehört eigentlich zu einem guten Callcenteragent-Training. Die Trainer sagen dann immer, man soll seine Resonanz finden. Also den Punkt, an dem die Stimmbänder am wenigsten belastet werden. Durch Probieren die Tonhöhe variieren.

Und Summen kann man auch auf dem Weg zur Arbeit im Bus :-)
Wenn man's leise macht, fällt es nicht auf. Zwischendurch Wasser trinken.
Außerhalb des Busses könnte man auch nur spülen :-))

Zwischen den Calls lässt sich auch gut summen, um die Stimmbänder zu "lockern".


Die "harte Nummer" wären Fisherman's Friend. Nehme ich nur im Notfall, wenn man mit Hustenanfällen zu kämpfen hat. Aber wenn man ohne Unterlaß reden muß, macht man eher alles schlimmer.

 
"Möglichst beim Ausatmen sprechen."

Während des Einatmens zu sprechen ist ja auch relativ schwierig und hört sich auch ziemlich blöd an. Versuchs mal! ;-)


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, Donnerstag, 19. Juli 2007, 13:45
Günter Wallraff hat eine Callcenter Reportage gemacht. Bei ZEIT.de kann man unter http://www.zeit.de/online/2007/29/interview-wallraff-callcenter ein Interview mit ihm lesen...

 
Ich sehe die Relevanz des (alten) Zeitungsberichts zu diesem Posting nicht. Man sollte ausserdem diesen isolierten Erlebnisbericht nicht als Temperaturmesser für die ganze Branche nehmen.

Die Unternehmen, für die Wallraff gearbeitet hat sehen für mich sehr dubios aus. Vor allem das Letztere sieht mir nach einem sehr schwarzen Schaaf aus - und schwarze Schaafe gibt es überall, in jeder Branche...

Es käme ja auch kein normaler Mensch auf die Idee Wallraffs Berichte über die Methoden der Bild Zeitung als Bewertungsgrundlage für alle Zeitungen und Journalisten zu nehmen.

 
Alt? Dieser Bericht scheint doch von heute...

Und was siehst du für Unterschiede zu dem Unternehmen, um das es hier geht?

 
liebe callcenteragentin,

da ich gerade eine hausarbeit zum thema medienästhetik der arbeit schreibe und mcih mit dem "working space" und "being space" und ihren spannungen auseinandersetze, erlaube ich mir dich zu fragen, wie du die trennung zwischen diesen zwei bereichen siehst, vielleicht nicht nur in bezug auf deinem callcenterjob, ich entnehme den blog-einträgen, dass du da eine scharfe trennung zwischen dem "arbeiten" (malochen, schufften) und dem "sein" (muße, leben, freiheit) vollziehst.
in den letzten dreizig jahren hat sich ein paradigmen-wechsel eingeschlichen, in den 60er jahren wollte man seine arbeitskraft nicht hergeben, doch nun leben wir in einem zeitalter eines arbeitsamen volkes... es scheint, dass working=being ist. wie siehst du das?

gruß,
ste

 
ich seh' das von job zu job verschieden. ich hab jobs gemacht, da kann man nur bestehen, wenn working=beeing ist, man also 100% dahinter steht, tag & nacht. damit hab ich aufgehört, weil eben mein beeing schaden genommen hat, immer kleiner und anspruchsloser geworden ist.
derzeit, nicht nur bei diesem job, trenne ich wirklich sehr scharf. ich nehme das eine oder andere mit, wenn es mir dienlich ist - so z.b. nehme ich das rhetorische training des callcenters mit in mein beeing, da profitiere ich davon. zum momentanen job hingegen nehme ich meine veranlagung, leute vollzulabern, mit ;-)

allgemein sehe ich arbeit immer noch so: ich verkaufe meine zeit und mein können. erst ab 100.000€/Jahr sollte man umschwenken und evtl auch etwas mehr verkaufen. was heißt sollte, solche jobs verlangen das imho.

bin auch gerne bereit, mich darüber per email zu unterhalten, wenn du magst!

 
"Alt? Dieser Bericht scheint doch von heute..."

Ups, sorry. Die Geschichte war schon in verschiedenen, anderen Zeitungen vor etlichen Wochen und da habe ich nicht aufs Datum geachtet. Naja, irren ist menschlich...


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, Donnerstag, 19. Juli 2007, 22:30
Das erinnert mich irgendwie an nen tollen Werbeanruf, den ich mal gekriegt hab. Die wollten mir n Telefon andrehen...

"Hier bla, Firma blubb, die kennen Sie ja bestimmt..."
"Nö..."

Da war kurzes Schweigen, schon erstaunlich...

"Ja... Also wir sind hier ein lokaler Telefonanbieter..."
"Das ist sehr freundlich, aber wie Sie vermutlich schon gemerkt haben, besitze ich bereits ein Telefon."

Da wusste sie dann tatsächlich gar nicht mehr, was sie sagen soll. Lustig war, dass man es durchs Telefon klicken hat hören, bis sie irgendwann auf den Trichter kam, dass das ein Witz sein sollte. Sie hat dann aber doch ziemlich gekünstelt gelacht...

Wie würde da jetzt eine professionelle ccain reagieren?

 
ein "profi" würd' bestimmt schon einen anderen einstieg nehmen - es gilt, neugierde, emotionen zu wecken, bevor noch produkte usw genannt werden. sonst ist ja die pointe schon weg, bevor sich überhaupt das gespräch aufbauen konnte. ist wie beim witze erzählen - das muss man auch können und sich an die innere struktur / regeln des witzes halten.

dass die gute schon nach 2 sätzen am ende ihres lateins war, lässt darauf schliessen, dass ihr callcenter beschXXX ist (gesprächsleitfaden, vorbereitung, training) und die dame selbst eher der "langsamen sorte" mensch angehörte.

ist bestimmt eher schwierig, am telefon telefone zu verkaufen, aber machbar ist das.

evtl so ein einstieg:
ich: "ha, schon wieder einen..."
du: "bitte? wer? was?"
ich: "oh! entschuldigung... mein name ist blah und ich führe hier im auftrag von blubb einen test durch..."
du: "hmmh..."
ich: "mit diesem! telefon können sie heutzutage doch nicht mehr wirklich telefonieren wollen... was haben sie denn für ein handy?"
du: "noXia ganztollblah, wieso?"

hier entscheidet sich: prestige/technik wichtig, ja oder nein... und dann gehts weiter, oder eben nicht....


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